02/2014 "In der Geothermie wächst der Mut zur Tiefe", MM MaschinenMarkt berichtet
Noch ist die Geothermie als Energiequelle eher ein Tropfen auf den heißen Stein. Doch weltweit wächst das Interesse an einer großtechnischen Nutzung von Erdwärme. Für die deutsche Energiewende gilt sie als unverzichtbar – zu groß sind ihre Vorteile im Vergleich zu anderen erneuerbaren Energien.
Die Erdwärme kennt keine tages- und jahreszeitlichen Schwankungen, ist so gut wie überall verfügbar, beansprucht wenig Platz und keine langen Transporte. Geothermische Anlagen liefern – anders als Sonne und Wind – Strom, Wärme und Kälte als Grund- und Spitzenlast gleichermaßen. Kein Wunder also, dass viele Experten der Geothermie bei der Energiewende einen besonderen Platz einräumen: Erdwärme ist die einzige regenerative Wärmequelle, um die großen Wärmelücken zu schließen, die durch das Abschalten von Kohlekraftwerken entstehen.
Geothermische Wärmepumpen für das Lastmanagement wichtig
Dazu kommt: "Wärmepumpen sind eine Schlüsseltechnologie für das Lastmanagement und helfen, deutlich mehr Wind- und Solarstrom ins Netz zu integrieren," erklärt Karl-Heinz Stawiarski, Geschäftsführer des Bundesverbands Wärmepumpe. Für die Heizung und Kühlung von Gebäuden hat sich die Energie aus der Tiefe mittlerweile ihren Platz erobert: Jeder zehnte Neubau in Deutschland hatte 2012 eine geothermisch getriebene Wärmepumpe.
Erdwärme gibt es genug. Heiße Gesteinsschichten in 3000 bis 4000 m Tiefe könnten Deutschland schätzungsweise für 10.000 Jahre komplett mit Strom und Wärme versorgen. Als besonders heiß gelten der Oberrheingraben, das süddeutsche Molassebecken um München und Teile der norddeutschen Tiefebene. Dennoch gilt sie als Stiefkind unter den Regenerativen, als kostspielig und unzureichend erforscht. An diesem Manko ist nicht zu rütteln: Die Zahl der geothermischen Kraftwerke weltweit reicht noch nicht aus, um Kosten und Energieausbeute verlässlich abschätzen zu können. Jede Bohrung und jedes Gestein ist anders, oft können weder Wissenschaftler noch Planer vorhersagen, ob ein Standort die Erwartungen erfüllen wird.
Fortschritte bei Öl- und Gasförderung helfen auch der Geothermie
Doch viele sehen breite Lichtstreifen am Horizont. Sowohl Exploration als auch Bohr- und Fördertechnik machen große Fortschritte. "Die Geothermie profitiert von allen Innovationen in der Öl- und Gasförderung", konstatiert Waldemar Müller-Ruhe, Geschäftsführer beim Bohrspezialisten Anger`s Söhne in Hessisch Lichtenau. Das betrifft beispielsweise ferngesteuerte Bohrtechnik, den Einsatz von Robotern und alle Fortschritte bei Richt- und Horizontalbohrungen. Auch das Internationale Geothermiezentrum in Bochum setzt auf Innovationen in der Bohrtechnik. Es entwickelt im Verbund mit Hochschulen und Unternehmen beispielsweise Wasserschneidaggregate sowie pneumatische und hydraulische Bohrhämmer, die Bohrungen schneller, effizienter und damit preiswerter machen.
Weltweit befeuert die Geothermie auch den Markt für den Turbinen- und Kraftwerksbau. "Die Menge an Geothermiestrom wächst derzeit so schnell wie der globale Stromverbrauch", sagt Pall Valdimarsson, Leiter der geothermischen Forschung bei Atlas Copco. Seit diesem Jahr bietet der schwedische Konzern schlüsselfertige ORC-Anlagen ab 30 MW Leistung. Die Organic-Rankine-Cycle-Technik nutzt statt Wasser einen organischen Wärmeträger, um die Energieausbeute zu verbessern.
Deutsches Geothermie-Know-how ist weltweit gefragt
Die Geothermie bringt daneben ganz neue technische Herausforderungen mit sich. Dazu gehört die Entwicklung von Pumpen und Wärmetauschern für große, heiße und korrosive Volumenströme aus tiefen Gesteinen. Dazu gehört auch eine möglichst treffsichere Exploration. "Die 3-D-Seismik, eine Kombination verschiedener Verfahren und modernste Rechner machen Darstellung und Interpretation der Daten aus der Tiefe heute schneller und sicherer als noch vor wenigen Jahren", erläutert Diplomgeologin Silke Bißmann vom internationalen Dienstleister DMT. Die Trefferquote steigt auch durch Fortschritte in der Simulationstechnik. Firmen wie die Erdwerk GmbH in München entwickeln Rechenmodelle für Kostenabschätzung und Risikosimulation geothermischer Projekte.
Mit dem Interesse an Geothermie ausländischer Investoren wächst das Interesse an deutschem Know-how. Denn insbesondere deutsche Firmen haben Erfahrungen mit der Nutzung von Niederenthalpie, also mit einer effizienten Nutzung relativ niedriger Temperaturen in Thermalwasser und Gestein. Beispielsweise hat die Türkei ein ehrgeiziges Ausbauprogramm für Erdwärme und ist auf der Suche nach deutschen Kooperationspartnern, betonte Atilla Gürbüz vom türkischen Energieministerium auf der Geo-T-Expo-Messe Mitte November in Essen.
Ähnliches gilt für Ungarn und Griechenland. Auf der griechischen Insel Milos ist ein Kraftwerk in Planung, das die Insel nicht nur mit Strom zum Kühlen, sondern auch mit Energie für eine Meerwasserentsalzung versorgen soll und sich bereits nach fünf Jahren amortisiert haben könnte. "Dieses Konzept ist Vorbild für alle Länder mit Wasserknappheit und hohem Kühlungsbedarf", glaubt Constantine Karytsas vom griechischen Zentrum für Erneuerbare Energien (CRES). Gesucht wird jetzt ein strategischer Investor – "gerne aus Deutschland", sagt Karytsas.
Weltweite Geothermie-Installationen dürften bis 2015 stark steigen
Auch die Philippinen, Indonesien, China und einige afrikanische Länder haben mit der Geothermie Großes vor. Bis 2015, so schätzt die Internationale Geothermische Vereinigung, wird allein die Stromerzeugung von derzeit rund 11.500 MW auf 19.000 MW steigen. Für Lateinamerika haben deutsche Experten im Februar 2013 ein Kompetenzzentrum mit Sitz in El Salvador eröffnet, das Planer, junge Wissenschaftler und Firmenmitarbeiter schulen wird, gleichzeitig aber als Sprungbrett für deutsche Firmen in der Region agiert. Da die Geothermie einen langen Atem braucht, sollten Unternehmen sich frühzeitig engagieren, um am Boom teilzuhaben, mahnen Insider.
Geothermie ohne politische Unterstützung und Förderung wird es allerdings nirgendwo geben. "Um der Erdwärme in großem Maßstab an die Oberfläche zu verhelfen, braucht es klare Ausbauperspektiven, verlässliche Risikoabsicherung und Vorzeigeprojekte, die Zweiflern zeigen, dass sie funktioniert", bringt es Hans-Josef Fell, einer der politischen Vorkämpfer für Erneuerbare Energien, auf den Punkt. Klar ist aber auch: Der europäische Markt bleibt schwierig. Die politische Debatte um die Zulassung von Fracking steckt fest, das gilt auch für chemikalienfreie Methoden, die unterirdisches Gestein zur Erdwärmegewinnung aufsprengen. Offen ist zudem, ob in der EU für Geothermieprojekte künftig eine Umweltverträglichkeitsprüfung notwendig wird.
In Deutschland erschwert vor allem die Debatte um sinkende Einspeisevergütungen einen schnellen Ausbau. Auf politische Unterstützung wie für Sonne und Wind muss die Erdwärme wohl auch künftig verzichten: Im Koalitionspapier der neuen Regierung kommt das Wort Geothermie gar nicht vor. "Ein gutes Zeichen", interpretieren optimistische Insider, "dann wird sie wenigstens nicht weiter eingeschränkt."
Quellen
- Artikel - MM MaschinenMarkt, Vogel Business Media
- Fotos - Wikimedia/Richard Bartz (Bohranlage), DMT (Vibro-Fahrzeuge, Blockmodell)