04/10 "Neustart", Haus & Grund informiert
Liebe Leser,
irgendwann im Film sagt AI Gore den Satz "Was uns Probleme macht, ist nicht das, was wir nicht wissen, sondern das, was wir mit Sicherheit wissen, was aber in Wirklichkeit falsch ist." Gerne hätte ich damals im Kino gerufen: "Hey, könnt Ihr den Film anhalten und ein Stück zurückspulen? Das ging mir eben zu schnell." Der Film war dann insgesamt noch so beeindruckend, dass ich schon nach ein paar Szenen diesen einen Satz längst wieder vergessen hatte. Wenig später kaufte ich die DVD. Und immer an der Stelle mit diesem einen Satz, halte ich an und spule zurück: "Was uns Probleme macht, ist nicht das, was wir nicht wissen, sondern das, was wir mit Sicherheit wissen, was aber in Wirklichkeit falsch ist." Jedes Mal, wenn ich diesen Satz höre, wird er für mich deutlicher, schärfer, wahrhaftiger. Anmerkung an dieser Stelle: Es ist ein Zitat von Mark Twain und der Film heißt "Eine unbequeme Wahrheit".
Das sind die Fakten
Bleiben wir ruhig bei der Wahrheit, der Realität, bei den Fakten: Fossile Brennstoffe wie Öl und Gas werden nie wieder billiger werden. Die Vorräte sind begrenzt und die Nachfrage steigt. Hohe Heizkostennachzahlungen sind in vielen Privathaushalten zu einem ärgerlichen Ritual geworden. Öl und Gas zu verbrennen ist nicht gut für unsere Umwelt. Und so weiter.
Wahr ist aber auch: Es gibt in Deutschland rund 5.000 Fördertöpfe, die man anzapfen kann, um sein Haus (egal ob selbst genutzt oder vermietet) zur Superspar-Immobilie zu machen. Das Problem der teuren Energie kann also mit fördermittellunterstützten Modernisierungen wirtschaftlich vertretbar gelöst werden. Frage: Warum passiert das nicht flächendeckend? Antwort: Weil wir viele Dinge wissen, die aber in Wirklichkeit falsch sind. Wie diese: Eine wärmegedämmte Fassade kann nicht atmen, in einem rundum abgedichteten Haus schimmeln die Wände.
Wenn jemand die Fassade seines Hauses dämmt, und anschließend schimmeln die Fensterlaibungen und der Sockel, sagt der Bewohner Folgendes: "Ich habe gedämmt und jetzt schimmeln die Wände." Er weiß das, er hat es erlebt, er erzählt es weiter. In Wirklichkeit ist diese Aussage aber falsch. Denn das Haus schimmelt nur dort, wo es nicht gedämmt wurde. In dem Fall wurden Laibungen und Sockel nicht gedämmt.
Energiespar-Kauderwelsch
Inzwischen kursieren viele solcher Geschichten und kaum jemand weiß, was wahr oder nur falsch wiedergegeben ist. Parallel dazu wurden neue Normen und Bau-Gesetze in einem Umfang produziert, die niemand mehr lernen und verstehen kann: Allein die Energieeinsparverordnung basiert je nach Schriftgröße auf geschätzten 5.000 bis 10.000 DIN-A-4-Seiten voller Vorschriften, Datenblättern und Verordnungen. Ergebnis: Aus halb verstandenen, falschen und aus komplizierten Wahrheiten wurde ein Energiespar-Kauderwelsch.
Zugleich existiert eine plausible, ganz einfache Studie des Hessischen Wirtschaftsministeriums, die bereits in den Jahren 2002 und 2003 mit dem Ergebnis angefertigt wurde, dass sich eine richtige Gebäudemodernisierung nahezu immer lohnt und bauphysikalisch keine Schäden verursacht: Fassade und Dach dämmen, neue dreifachverglaste Fenster montieren, eine solarunterstützte Heizungsanlage einbauen, die weder Gas noch Öl benötigt. Fertig. Sogar die genauen Zentimeter-Angaben für optimale Dämmstoffdicken gibt es: Dach 24 Zentimeter, Fassade 16 Zentimeter (jeweils bezogen auf die Qualität der heute üblicherweise eingesetzten Dämmstoffe). Warum braucht man tausende Seiten Papier, um etwas auszurechnen, was man schon längst weiß?
Zusätzlich gibt es die wenige Seiten dünne, sehr überschaubare, praxisnahe "Deutsche Gebäudetypologie", die modular für alle Häuser in Deutschland anzuwenden ist. Sie könnte die Basis für jede Gebäudemodernisierung sein, wenn sie nicht wie ein Geheimpapier unter Ausschluss der Öffentlichkeit in einen tiefen Dornröschenschlaf gefallen wäre (Weckruf unter www.iwu.de/downloads/fachinfos/altbausanierung/). Zu erwähnen sind auch die Unterrichtskonzepte für Bauprofis, die sich auf den Kern konzentrieren, die mit Halbwissen aufräumen und alles Wichtige auf weniger als 100 Seiten erläutern.
Worauf warten wir noch?
Was wir brauchen ist ein Klimawandel in der Herangehensweise ans Thema "energetische Gebäudemodernisierung". Wir brauchen einen Neustart wie bei einem Computer, der sich im wirren Rechenlabyrinth der vielen verfügbaren Programme aufgehängt hat. Man könnte über diesen Bau-Klima-Wandel auch einen Film drehen. Darin sollte dieser eine Satz untergebracht werden: "Wenn ich etwas nicht kann, dann kann ich es nur deshalb nicht, weil ich es nicht ausreichend geübt habe." Wir brauchen statt 10.000 Seiten Papier die praktische Erfahrung von 10.000 modernisierten Häusern. Also los, worauf warten wir? Wichtig: Die Laibungs- und Sockeldämmung nicht vergessen.
Herzlichst
Ihr Ronny Meyer
Ronny Meyer, Bauingenieur aus Darmstadt, ist unser Experte, wenn es um hochwertiges, energiesparendes Bauen und Sanieren geht. Heute nimmt er Stellung zum Thema "Neustart".
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